Die Geschichte rund um das Rathaus und den Hauptplatz zum Mit- und Nachlesen
Wir stehen jetzt vor dem Wolkersdorfer Rathaus, das zwischen 1802 und 1803 im
klassizistischen Stil erbaut wurde. In der Muschelnische über dem Portal sehen
Sie eine Büste, die den österreichischen Kaiser Franz I. zeigt. Er herrschte
zur Zeit der Errichtung des Rathauses. Die Büste stammt vom zeitgenössischen Wolkersdorfer
Künstler Otto Potsch. Beim Vorgängerbau des Rathauses an derselben Stelle
handelte es sich um ein Wohnhaus.
Im Jahr 1800 war es von
Richter, Rat und Bürgerschaft des Marktes Wolkersdorf angekauft worden um an
dieser Stelle das Rathaus zu errichten. Zu dieser Zeit war Wolkersdorf
Marktgemeinde und durfte Wochen- und Jahrmärkte abhalten. Doch wann wurde aus
dem Markt eine Stadt? Bereits 1968 wurde bei einer Gemeinderatssitzung von
Bürgermeister Johann Galler ein diesbezüglicher Antrag gestellt, der einstimmig
angenommen wurde. In der Eingabe an die niederösterreichische Landesregierung heißt
es im Schlusssatz - Zitat: „Auf Grund der
Bevölkerungszahl, der historischen Bedeutung, der Verkehrslage und der guten
wirtschaftlichen Entwicklung des Ortes in den letzten Jahren bittet die
Marktgemeinde Wolkersdorf, zur Stadtgemeinde erhoben zu werden.“ Dies ließ
man gelten und der niederösterreichische Landtag gab seinen Segen dazu. Die
feierliche Stadterhebung erfolgte am 22. Juni 1969. Zur Stadtgemeinde gehören
neben Wolkersdorf die Katastralgemeinden Obersdorf, Münichsthal, Riedenthal und
Pfösing. Das Rathaus und die Hauptstraße
befinden sich im „Neuen Markt“ von Wolkersdorf, der wahrscheinlich im 13.
Jahrhundert entstanden sein dürfte. Der „Alte Markt“ westlich der heutigen
Brünner Straße existierte daneben weiter. Nach und nach verlagerte sich das
Zentrum Wolkersdorfs vom „Alten“ in den „Neuen Markt“. In der Hauptstraße
herrschte immer schon geschäftiges Treiben, die Bevölkerung ging verschiedenen
Berufen nach. Dienstbücher des 16. Jahrhundert erwähnen etwa die „Badstuben“ in
Wolkersdorf. Eine solche gehörte zur örtlichen Infrastruktur, der Bader wurde
auch als „Arzt des kleinen Mannes“ bezeichnet. In diesen Einrichtungen widmete
man sich - neben der Körperhygiene - auch dem Versorgen kleiner Wunden und dem
Ziehen schmerzender Zähne, es wurde ebenso geschröpft und zur Ader gelassen.
Kehren wir nun dem Rathaus
den Rücken zu und schauen wir uns um:
Sehen Sie den Brunnen? Die
Schrott-Brunnenplastik mit einem Wasserrad wurde im Jahr 1999 von Otto Potsch
angefertigt. Sie war ein Auftragswerk der Stadtgemeinde anlässlich des 60.
Geburtstags des Künstlers. Erkennen Sie den Kater, der ganz oben sitzt? Er stellt den Bürgermeister
dar. Eine Vielzahl von Mäuschen bevölkert
den Brunnen, es sind die Gemeinderäte – können Sie alle 27 finden?
Eine Besonderheit befindet
sich im dahinterliegenden Haus in der Hauptstraße 35: Bei Renovierungsarbeiten
entdeckte man Fresken, also Wandmalereien aus der Zeit um 1500!
Die Hauptstraße ist mit ihren Geschäften und Lokalen auch
heute das Zentrum Wolkersdorfs und auf dem Platz vor dem Rathaus werden Märkte
und Veranstaltungen abgehalten.
Möchten Sie mehr über den Künstler Otto Potsch
erfahren? Dann hören Sie den Beitrag weiter!
Der gebürtige Wolkersdorfer Otto Potsch ist ein
vielseitiger Künstler. Gleich einem Poeten vermag er es, sogar Stein und Eisen
eine Seele einzuhauchen. Daneben ist er als Bernsteinfotograf, Edelserpentinschleifer,
Bildhauer, Maler und Musiker aktiv – um
nur einige Betätigungsfelder zu nennen. Über seine Berufung zum Künstler sagt
Otto Potsch – Zitat: „Spätestens nach
meinen ersten künstlerischen Experimenten auf Scheunentoren und Kellertüren in
der Jugend, die mir zunächst nicht nur Bewunderung einbrachten, war klar, dass
ich zum Künstler geboren war. Immer neugierig, strebte ich in jedem Bereich der
Kunst die Meisterschaft an.“ Nach seiner Ausbildung zum Elfenbeinbildhauer
eröffnete Otto Potsch eine Werkstatt in Wolkersdorf und fertigte nebenbei
Tierskulpturen aus Edelserpentin an. Die Elfenbeinbearbeitung gab Potsch vor
ca. 15 Jahren auf. Erste Ausstellungen führten ihn nach Strassburg, Zürich und
Rom. Mit Unterstützung seiner Familie erschuf er das Felsenmuseum in Bernstein
im Burgenland, in dem Gästen die Geschichte, der Abbau sowie die Verarbeitung
des Edelserpentins nähergebracht werden sollen. Nun wandte sich der Künstler
dem Metall zu – es entstanden „Trophäen“ aus Alteisen und Schrott. Ob Figuren
aus Legenden, der Kirche oder Alltagsszenen aus dem Weinviertel, der Künstler
versuchte sie immer mit – Zitat: „einer
Portion Ironie und einem Augenzwinkern“ zu erschaffen. Weitere Betätigungsfelder
wurden die Musik, die Malerei, die Lyrik und die Fotografie. Eine besondere
Faszination entwickelte der Künstler jedoch für Bernstein. Er erwarb eine
Bernsteindrechslerei und erlernte das Fotografieren im Mikrobereich, um die
Einschlüsse im Bernstein festhalten zu können. Zitat des Künstlers: „Nachdem ich mich an das in ihrem goldenen
Käfig erstarrte Lebewesen aus vergangener Zeit herangeschliffen hatte,
entstanden sensationelle Fotos, die in dem Bildband „Der Bernsteinmagier“
präsentiert werden.“ Es folgten Ausstellungen im In- und Ausland und
Einladungen zur Biennale Austria in Kärnten. Otto Potsch feierte 2018 seinen
80. Geburtstag, die Stadt würdigte ihren Ausnahmekünstler mit einer umfassenden
Werkschau im Schloss und widmete ihm die Otto-Potsch-Brücke im Schlosspark.